EDITORIAL
Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel
Chefredaktion
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SUCHT
EDITORIAL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Liebe Leserinnen und Leser,
seit der ersten SPEKTRUM-Ausgabe im Jahr 2009 ist uns ein
großer Stamm von Autoren zugewachsen und es fällt deshalb in
der Regel nicht schwer, zu unseren Themen zahlreiche Beiträge
aus aller Welt zu sammeln. Anders beim Schwerpunkt dieses
Heftes. Die Suchtbehandlung scheint für Homöopathen eine
echte Crux zu sein und es gibt nicht viele, die über genügend
Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen. Zu den wenigen zählt
zweifellos Declan Hammond, der in Irland sowohl Heroinsüch-
tige in den Armenvierteln Dublins als auch arbeits- und koka-
insüchtige Yuppies aus der Oberschicht behandelte.
Die wesentliche Erkenntnis seiner Arbeit fasst er mit einem Zitat
des kanadischen Suchttherapeuten Gabor Maté zusammen:
„Viele von uns erinnern an Drogensüchtige, wenn sie erfolglos
versuchen, das schwarze Loch in sich zu füllen, die spirituelle
Leere in unserem Inneren, wo wir den Kontakt zu unserer Seele
oder unserem Geist verloren haben. Unsere konsum-, gewinn-,
aktions- und imageverrückte Kultur dient nur dazu, dieses
Loch zu vertiefen und uns leerer als zuvor zurückzulassen.“
Das bedeutet für Hammond zunächst: „Wir sind alle potenziell
suchtgefährdet.“ Und dann: „Da alle Ursachen für die Sucht im
Inneren unserer Seele liegen, liegen dort auch alle Lösungen.“
Jede Sucht entwickelt eine Eigendynamik, die schließlich unab-
hängig von der Art der Abhängigkeit zu stereotypen Verhaltens-
mustern führt. Die Psychologin Johanna Tränkner zeigt das an
einem Vergleich der Symptome von Drogenabhängigkeit und
von stoffunabhängigen Formen wie Kaufsucht, Arbeitssucht,
Spielsucht oder Sexsucht. Die Veränderungen der Persönlich-
keit durch die Sucht stehen oft so im Vordergrund, dass die
Individualität dahinter nur noch schwer zu erkennen ist. Sie
aufzuspüren und die Lösung im Inneren der Seele zu suchen,
ist gerade bei diesem Krankheitsbild die Herausforderung für
den Homöopathen.
In den Beiträgen dieses Heftes geht es immer wieder um diese
inneren Ursachen und die persönliche Geschichte hinter der
Sucht. In der Kasuistik von Deborah Collins ist es der lebenslange
Groll gegen einen überstrengen Vater, bei einem 6-jährigen
Jungen aus der Praxis von Andreas Richter ist es die Sehn-Sucht
nach Körperkontakt, der in der frühen Kindheit fehlte, in Frans
Kusses Fallbeispielen sind es häufig traumatische Erfahrungen
in der Vorgeschichte. Bei der begleitenden Behandlung von
Patienten einer holländischen Suchtklinik hat sich für ihn ein
dreistufiges homöopathisches Vorgehen bewährt: Entgiftung
auch mit Isopathie, ätiologische Behandlung mit Traumamitteln
und schließlich konstitutionelle Therapie. Einen ähnlichen Ansatz
beschreibt Jean Pierre Jansen für die Entwöhnung von Rauchern.
Auf der konstitutionellen Ebene sind einige Mittelgruppen häu-
figer angezeigt als andere. Das für die Sucht so typische Gefühl
eines inneren Lochs, das irgendwie gefüllt werden muss, ent-
spricht dem Bedürfnis der Milcharzneien nach Nähe und Wärme,
dem Verlangen, gesäugt zu werden. Jonathan Hardy schildert
an Fallbeispielen von Lac humanum und Lac lupinum, wie die
typische Dynamik dieser Arzneigruppe zu Essstörungen oder
Drogenabhängigkeit führen kann. Sigrid Lindemann fand das
Suchtmuster von Rückzug, Isolation und Flucht vor der Realität
in einem Fall von Oncorhynchus tshawytscha, dem pazifischen
Königslachs.
Eine besondere Rolle in der homöopathischen Suchtbehandlung
spielen die Drogenmittel. Sie können im Entzug als Nosoden
eingesetzt werden, wie das Frans Kusse für die Abhängigkeit
von Cannabis beschreibt. Oft erweisen sich aber auch Arzneien
aus dieser Gruppe als Simile auf einer tiefen konstitutionellen
Ebene. Die von Alkohol und anderen Drogen abhängige, le-
benshungrige Powerfrau in Anne Schaddes Kasuistik und ihre
Heilung durch Ephedra sinica ist dafür ein gutes Beispiel. Sie
kann ihre Impulse ebenso wenig kontrollieren wie der nach Sex
und Alkohol süchtige Patient von Anne Koller-Wilmking oder
Ulrich Weltes junger Patient, der einem Computerspiel verfallen
ist. Die Gewaltphantasien, die mit dem virtuellen Leben in der
World of Warcraft verbunden sind, führten Welte zu Franciscea,
einem Nachtschattengewächs, das dem syphilitischen Miasma
zugeordnet wird. An dieses Miasma sollte man in Verbindung
mit dem zerstörerischen Potenzial der Suchtkrankheit sicher
öfter denken.
Dass die Homöopathie einen wichtigen Beitrag in der Sucht-
behandlung leisten kann, zeigen die Beiträge unserer Auto-
ren. Ohne eine gute psychosoziale Begleitung ist der Weg aus
dem Teufelskreis der Sucht allerdings kaum möglich. „Men-
schen brauchen Kontakt, Gemeinschaft, Familie – die Sucht
gedeiht in der Isolation“, schreibt Declan Hammond. Nach sei-
nen und Frans Kusses Erfahrungen lässt sich die Homöopathie
dabei erfolgreich in ein interdisziplinäres Behandlungskonzept
integrieren.