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SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Rajan Sankaran ¦
Kasuistik
6
EVIDENZ DER HOMÖOPATHIE
FALLBEISPIEL: Frau, 41 Jahre alt, Autoimmunhepatitis
Die Patientin konsultierte mich am 3. Juli 2002 wegen einer
Autoimmunhepatitis, für die eine Lebertransplantation emp-
fohlen worden war.
Bitte schildern Sie Ihre Beschwerden.
Ich fühle mich schwach und schwindelig. Als ich Gelbsucht und
Magenschmerzen hatte, musste ich immer erbrechen. Ich habe
keine Lust zu essen.
(Hier befinden wir uns im Fall auf Ebene 1, der Ebene der Tatsa-
chen. Das sind nicht individualisierte pathologische Symptome.
Um an die eigenheitlichen Symptome heranzukommen, müssen
wir die Patientin auf eine höhere Ebene des Erlebens bringen.)
Was für eine Auswirkung hat dieses Problem auf Sie?
Anspannung wegen der Lebertransplantation. Ich mache mir
Sorgen, weil alle sagen, die Leber sei lädiert.
Worum machen Sie sich Sorgen?
Ich mache mir Sorgen um meine Familie. Wer wird sich um die
Kinder und meinen Mann kümmern? Ich habe drei Töchter;
eine hat gerade die 10. Klasse abgeschlossen, und die anderen
beiden sind Zwillinge und gehen in die 10. Klasse. Ich mache mir
Sorgen um ihre Zukunft. Wir planen, demnächst nach Kanada
auszuwandern, und auch das trägt zu meiner Anspannung bei.
Wir haben finanzielle Probleme, und die Medikamente sind
teuer. Ich widme der Familie nicht viel Aufmerksamkeit, obwohl
ich mich darum bemühe.
Was sind die wichtigsten Dinge, um die Sie sich Sorgen
machen?
Vorher habe ich immer gearbeitet – jetzt bin ich total ge-
handikapt. Alle sagen, ruh dich aus, und das mag ich
nicht.
(Das Wort „gehandikapt“ gibt uns einen Einblick in die Seele
der Patientin. Es ist eigentümlich, daher verfolgen wir es weiter.)
Was heißt gehandikapt?
Sie erlauben mir nicht, das Haus zu verlassen. Selbst bei Klei-
nigkeiten muss ich mich auf das Dienstpersonal verlassen. Ich
möchte mit niemandem über meine Krankheit reden. Deshalb
haben wir seit einem Jahr niemandem davon erzählt, dass ich
dieses Problem hatte. Manche Leute zeigen Mitgefühl, andere
sind nur neugierig. Ich fühle mich wie in einem Museum, als sei
ich in etwas eingeschlossen und könne nicht heraus.
(Sie vollführt eine kreisförmige Bewegung mit den Händen. Wir
sehen hier zwei Dinge. Eines lautet: „Mir wird etwas angetan.“
Könnte das ein Tierthema sein: Opfer – Angreifer? Das andere
ist, dass sie sich von anderen abhängig fühlt. Ein Thema des
Mangels, was zum Mineralreich führt. Nun, in diesem Fall ist
beides falsch, denn wir können das Naturreich erst auf Ebene
5, der Ebene der Empfindungen, bestimmen. Noch befinden wir
uns aber auf den Ebenen 3, d. h. der Gefühle und Emotionen,
und der Ebene 4 der Bilder, Vorstellungen, Wahnideen. „Ich bin
in einem Museum“, ist ein Symptom der 4. Ebene, nämlich ein
Bild. Also fahren wir fort wie bisher.)
Erzählen Sie mir etwas über „kann nicht heraus“.
Ich passe mich an, doch für sie ist es Pflicht. Ich hatte eine
Liebesheirat. Mein Mann und ich gehören unterschiedlichen
Gemeinschaften an. Deshalb musste ich viele Anpassungen
vornehmen im Hinblick auf das Essen, die Religion usw. Jetzt
habe ich mich eingerichtet.
(„Kann nicht heraus“ ist hier ein bezeichnender Ausdruck, da
er auf eine Bewegung hinweist. Wenn wir das weiterverfolgen,
könnte es die Patientin von Ebene 4 zu Ebene 5, der Ebene der
Empfindungen, führen.)
Erzählen Sie mir von den Anpassungen.
Die Frau muss sich immer an alles anpassen, überall. Ich muss
die ganze Zeit über die Form wahren.
(Das Wort „Anpassung“ ist ein spezifisch menschliches Wort.
Wir sehen, dass die Patientin zu Ebene 3 zurückkehrt. Das lässt
uns in diesem Fall die Erfahrungsebene der Patientin erkennen.)
Ich hatte immer das Gefühl: „Wieso nur ich? Nur ich tue das.
Wieso soll ich ständig Kompromisse schließen?“ Dieses Gefühl
habe ich nicht mehr.
(Diese Aussage ist ein dezenter Hinweis auf das Miasma, auf
ihren Bewältigungsmechanismus. Das Gefühl, kein Glück zu ha-
ben, bedauernswert zu sein, verweist auf das Malaria-Miasma.)
Erzählen Sie mehr darüber. Was war es für ein Gefühl, sich
in dieser Situation zu befinden?
Ich hatte immer das Gefühl, dass mich niemand liebt, obwohl
ich mich angepasst habe. Egal, was ich tat, sie versuchten,
mich davon abzubringen. Als ich schwanger war, beachtete
meine Schwiegermutter mich gar nicht und gab mir nichts
zu essen. Niemand hat sich um mich gekümmert, als ich das
Bett hüten musste. Ich habe alles getan, aber niemand hat
sich um mich gekümmert. Niemand war für mich da, als ich
es brauchte.
Wie fühlte es sich an, als sich niemand um Sie kümmerte?
Manchmal bin ich aggressiv geworden und habe mich mit mei-
ner Schwiegermutter gestritten.
Was fühlten Sie in dieser Situation, als sich niemand um
sie kümmerte?
Ich habe immer die Tür zugemacht und dagesessen. Ich wollte
allein sein. Es gefiel mir nicht, was da ablief. Manchmal bin ich
einfach weggegangen, in den Tempel. Ich habe meinen Eltern
nichts von allem erzählt, weil die Hochzeit meine Entscheidung
gewesen war. Sie hatten mich unterstützt, aber ich dachte:
„Wozu sie belästigen?“ Wozu sollte man jemandem von seinen
Problemen erzählen, den das nicht interessiert? Sie glauben, ich
sei glücklich, aber so sieht es wirklich in mir aus.
(Was können wir aus dem oben Gesagten herauslesen? Wenn
wir sie nach Anpassung befragen, erzählt sie von der Situa-
tion mit der Schwiegermutter. Ihr zentrales Gefühl ist, nicht
geliebt zu werden, keine Hilfe zu erhalten, bedauernswert zu
sein („Wieso nur ich?“) und schikaniert zu werden. Von Zeit zu
Zeit versucht sie, die Situation mit Streit und Aggressivität zu
bewältigen, doch am Ende bleibt sie in der Vermeidung oder
Akzeptanz des Gegebenen stecken. Dieses Phänomen bestä-
tigt schließlich das Malaria-Miasma in diesem Fall. An dieser