Jonathan Hardy
¦ Lac humanum: Lac lupinum
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
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SUCHT ¦
ESSEN | HEROIN
LAC HUMANUM UND DIE VERWENDUNG BEI
FRÜHKINDLICHER TRAUMATISIERUNG
Die Heilpraktikerin Tanja Hofmann mit Praxis in Hamburg und
Buxtehude hat sich mit der Behandlung frühkindlicher Traumata
beschäftigt und ihre Erfahrungen mit der Arznei Lac humanum
veröffentlicht und mit Fallbeispielen belegt. Sie schreibt: „Früh-
kindliches Trauma – wenn wir diese Begriffe hören, fallen uns die
Kinder ein, die in der vergangenen Zeit durch ihr erlittenes Marty-
rium für Schlagzeilen sorgten. Ursachen für eine Traumatisierung
im Kindesalter sind allerdings nicht nur schwerste Misshandlungen
und sexueller Missbrauch oder eine eklatante Vernachlässigung,
die zur Unterversorgung in der Hygiene und der Nahrung führt.“
Bindungsstörung bei Kindern:
Diese Kinder erlebten ihre El-
tern, bei denen sie instinktiv nach Schutz und Geborgenheit
suchten, als potenziell bedrohlich. Das Urvertrauen, das durch
eine liebevolle und stabile Fürsorge erwächst, hat in diesen Kin-
dern nur kümmerliche Wurzeln austreiben können.
Die Folge einer unsicheren, bedrohlichen Bindung an die Eltern
ist eine Bindungsstörung. Die Autorin beruft sich in ihren Aus-
führungen im Wesentlichen auf den Psychiater und Neurologen
Dr. med. Karl Heinz Brisch und dessen Veröffentlichung „Bin-
dung und seelische Entwicklungswege“, der die Bindungsthe-
orie in Deutschland bekannt gemacht hat. In vielen Fällen weist
auch die Biografie der Mutter, die ihrem Kind eine solche sichere
Bindung nicht bieten kann, selbst ungelöste Trennungs- oder
Verlusterlebnisse oder andere Traumata auf.
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Symptomatik der Bindungsstörung bei Erwachsenen:
Men-
schen, die unter einer Bindungsstörung leiden, erleben die Welt
als potenziell unsicheren Ort. Sie reagieren ängstlich oder ag-
gressiv, ziehen sich zurück (Depression, soziale Phobie), schwan-
ken zwischen euphorischen Phasen und depressiven Phasen
(manische Depression), entwickeln Angststörungen, zwanghaf-
tes Verhalten, selbstverletzendes Verhalten, eine Suchtkrankheit
oder auch Co-Abhängigkeit
Tanja Hofmann beschreibt in ihrem Fachtext zu Lac humanum
eine ihrer Patientinnen, die seit vielen Jahren eine schädliche und
abhängige Beziehung zu einem Mann führt, der sie als Partnerin
nicht akzeptiert. Diese aber drückt ihr Gefühl, wenn sie mit
In der Homöopathie bilden die „Lacs” (von lat. Lac,
Milch) oder Milchmittel eine eigene Gruppe von Arz-
neien; sie werden aus der Muttermilch des Menschen
und unterschiedlicher Säugetiere gewonnen. Zur Zeit
sind etwa 25 Milchmittel erhältlich.
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diesem Mann zusammen ist, wie folgt aus: „Die Welt versinkt
um uns. Es ist so schön mit ihm! Wir verschmelzen, wir sind
eins. Es ist, als würde um uns alles neblig, und die Geräusche
werden leiser. Da sind nur er und ich. Niemand sonst kann mir
ein so schönes Gefühl geben, so geborgen und sicher.“ Die
Patientin glaubt, diesen Mann zu lieben; was sie aber beschreibt,
so Hofmann, ist die Liebe eines hilflosen kleinen Kindes zu seiner
Mutter. Der Wunsch nach Verschmelzung, Geborgenheit und
Sicherheit und die Projektion auf einen bestimmten Menschen,
dem allein man die Macht in die Hände gibt, diese tiefe Sehn-
sucht zu befriedigen.
Auf dem Weg zur individuellen Freiheit:
Hofmann verweist
darauf, dass natürlich nicht alle Bindungsstörungen und früh-
kindlichen Traumatisierungen eine Linderung oder gar Heilung
durch Lac humanum erfahren. Entscheidend sei, wie auch sonst
in der Homöopathie, die individuelle Reaktion auf die auslösende
Ursache. Als wichtige Differenzierung zu anderen Milchmitteln
nennt Tanja Hofmann den „Wunsch nach Individualität und
Selbstverwirklichung, der uns Menschen eigen ist. Wir wollen
zur Gruppe gehören, aber wir wollen in der Gruppe auch etwas
Besonderes sein und nicht ein Indianer unter vielen. Freiheit –
das ist für Lac-humanum-PatientInnen ein bedrohliches Wort,
denn sie assoziieren Freiheit mit Alleingelassensein. Insofern
haben sie auch einen heimlichen Wunsch nach Abhängigkeit.“
Und weiter schreibt sie: „Dieser Wunsch ist die alte Sehnsucht
danach, angenommen zu sein, geliebt zu sein – ein zutiefst
menschlicher Wunsch, der uns oft Partnerschaften eingehen
lässt, die auf Bedürftigkeit und Angst vor Einsamkeit und nicht
auf Liebe gegründet sind.
Lac humanum lässt die inneren Wurzeln wachsen. Das geht
nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit, aber der
Weg lohnt sich, denn er ist ein Weg in die Freiheit.“
Quelle:
Tanja Hofmann, Heilpraktikerin Klassische
Homöopathie
,www.tanjahofmann.com.
Anmerkung der Redaktion:
Siehe dazu auch Karl Heinz Brisch/
Klaus E. Grossmann / Karin Grossmann / Lotte Köhler (Hrsg.),
Bindungsstörung und frühkindliches
Trauma, Klett-Cotta-Verlag 2002. Die Thematik der Bindungs-
störung hat der Kinderarzt, Neurologe und Homöopath Andreas
Richter in zahlreichen Artikeln mit unterschiedlichen homöopa-
thischen Mitteln in verschiedenen Ausgaben von „Spektrum“
dargestellt.)
3 Vgl. dazu auch Spektrum III_2011 mit dem Schwerpunktthema „Hund und
Katz“, Milchmittel der Hunde- und Katzenfamilien in der Homöopathie, u. a.
auch den Beitrag von Andreas Richter „Ständig bedroht“ mit einem Fallbeispiel
zu Lac lupinum, das der Autor im Zusammenhang mit der Bindungstheorie
beschreibt.