SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Jonathan Hardy
¦ Lac humanum: Lac lupinum
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SUCHT ¦
ESSEN | HEROIN
SÄUGETIERMITTEL UND SUCHT
Eine Reihe von Themen, die sehr häufig in Säugetierfällen auf-
tauchen, ist wichtig, um zu verstehen, wie Säugetiermittel bei
der Suchtbehandlung eingesetzt werden können:
Milch:
Die spezifische evolutionäre Anpassungsleistung der Säu-
getiere ist die Milch, und die Milch ist für unser Verständnis
dieser Mittel grundlegend. Sie ist die Nahrungsquelle für alle
Jungtiere. Doch sie ist nicht nur für das physische Überleben
des Tierbabys wichtig, sondern umfasst auch den Prozess des
Säugens. Das junge Säugetier bezieht Nahrung aus der Brust sei-
ner Mutter und erhält dort zugleich Körperkontakt und Wärme.
Das beinhaltet auch ein emotionales Element – es ist ein Akt
großer Intimität: Die Mutter gibt sich buchstäblich hin, um ihren
Jungen Leben zu schenken. All diese Elemente der Nahrung,
der Wärme, des Körperkontakts, der mütterlichen Fürsorge und
Intimität finden sich auch in den Säugetierfällen.
Das „Säugergefühl“:
Wir können sagen, dass das Gefühl,
rundum genährt zu werden, sowohl auf körperlicher als auch
auf seelischer Ebene, zusammen mit dem Gefühl von Wärme,
Intimität und Nähe das „Säugergefühl“ ist. Als Menschen sollten
wir dieses Säugergefühl tief in uns tragen. Es sollte Teil unserer
inneren Grundstruktur sein, und zwar auf einer instinktiven und
unbewussten Ebene unseres Seins. Wenn das der Fall ist, trägt
es viel zu unserem Kompetenz-, Sicherheits- und Wertgefühl
bei, das die Grundlage für ein glückliches und erfolgreiches
Leben bildet. Andernfalls fehlen uns diese Grundelemente, die
uns Geborgenheit und Stabilität verleihen. Dann wird sich das
nagende Gefühl einstellen, dass uns etwas fehlt, eine innere Ver-
unsicherung, die ganz fundamental ist. Das wird oft geradezu
körperlich empfunden als eine tief sitzende Leere, eine Loch, das
nicht gefüllt werden kann. Wir haben das unentrinnbare Gefühl,
dass etwas mit uns nicht stimmt, dass wir nicht ganz sind.
Es ist interessant, dass viele Säugetiermittel aus der Milch her-
gestellt und als „Lac“ bezeichnet werden – ein Wort, das im
Englischen genauso klingt wie das englische Wort für Mangel:
lack. Dem Betreffenden mangelt es an etwas in seiner Grund-
struktur, was natürlich sehr nach einem Mineralmittel klingt.
Doch es gibt einen Unterschied. Säuger sind Tiere, und der
Mangel hat hier einen animalischen Beigeschmack. Und dieser
Beigeschmack kann als Scham zusammengefasst werden.
Scham:
Scham ist ein häufiges Gefühl in Tierfällen, das jedoch
bei Säugetierfällen aufgrund dieses inneren Mangelgefühls be-
sonders stark ausgeprägt ist. Der animalische Zustand erzeugt
im Patienten oft das Gefühl, schmutzig, schlecht und unwürdig
zu sein. Das scheint ein Produkt der Bewusstseinsspaltung zu
sein, die man in Tierfällen vorfindet – der Dualität zwischen
unserem höheren Bewusstsein und unseren animalischen We-
sensanteilen. Dieses Unbehagen mit der eigenen animalischen
Natur, kombiniert mit dem Gefühl der inneren Unwürdigkeit, ist
eine mächtige Mixtur, die in vielen Säugetierfällen ein äußerst
starkes und tief sitzendes Schamgefühl erzeugt.
Scham ist etwas anderes als Schuld. Schuld ist das Gefühl, etwas
Falsches getan zu haben. Scham ist das Gefühl, falsch zu sein
– dass mit uns irgendetwas nicht stimmt. Schuld impliziert die
Möglichkeit der Wiedergutmachung, denn wenn man etwas
Falsches getan hat, kann man etwas Richtiges tun, das den
Fehler wieder ausgleicht. Scham nicht. Scham ist ein viel tiefer
sitzendes und lähmenderes Gefühl, denn wenn man glaubt,
falsch zu sein, gibt es nichts, was man tun kann, um Abhilfe
zu schaffen.
Selbstzerstörung:
Wie also reagieren wir auf Scham? Unglück-
licherweise mit einer ganzen Palette an selbstzerstörerischen und
schädlichen Gewohnheiten und Verhaltensweisen. Wir werden
wahrscheinlich allen möglichen Süchten zum Opfer fallen, denn
wir gieren nach etwas – irgendetwas –, das dieses entsetzliche
Gefühl der inneren Leere füllt. Säugetier-Patienten sagen oft
über ihre Sucht, es sei der Versuch, ein inneres Loch zu füllen.
Es kann sich um physische Süchte handeln: um Drogensucht,
von den stärksten illegalen Drogen bis hin zu den alltäglicheren,
wie etwa Schokolade und Kaffee. Es finden sich Essstörungen
aller Art, und es ist interessant, dass Scham ein Charakteristikum
von Anorexie und Bulimie ist.
Säugen:
Säugetiermütter ernähren ihre Neugeborenen, indem sie
sie säugen. Säugetier-Patienten jeden Alters versuchen oft, diese
Erfahrung auf vielerlei Weise wiederzubeleben, insbesondere durch
Daumenlutschen oder indem sie sich Finger oder Gegenstände
in den Mund stecken. Auch Nähe und Körperkontakt werden
nachgeahmt: durch exzessives Liebkosen, Kuscheln und Küssen,
indem der Patient sich in Decken und Wollschals hüllt oder sich
an Plüschtiere klammert – alles, was an die kindliche Erfahrung
von mütterlicher Wärme, Nahrung und Geborgenheit erinnert.
Nahrung:
Im gesunden Zustand herrscht ein Gefühl von Be-
friedigung, Erfüllung, Zufriedenheit, Selbstsicherheit und Selbst-
AUTOR ¦ Jonathan Hardy
ZUSAMMENFASSUNG:
Ein Mangel an dem typischen
„Säugergefühl“ von Nähe, Wärme und versorgt Wer-
den kann ein Gefühl tief sitzender Leere verursachen.
Suchtpatienten, die Milcharzneien benötigen, versu-
chen über ihre Sucht, dieses innere Loch zu füllen.
Der Autor schildert an zwei Fallbeispielen, wie die
typische Dynamik dieser Arzneigruppe zu Essstörun-
gen oder Drogenabhängigkeit führen kann. In beiden
Fällen ist die Beziehung zur Mutter gestört.
SCHLÜSSELWÖRTER:
Akne, Bulimie, Drogensucht,
Empfindungsmethode, Essstörung, Heroin, Hunde-
mittel, Lac humanum, Lac lupinum, Milcharzneien,
Säugetiere, Sucht